Berichte

Der Traum, der Wirklichkeit ist

Im Orientierungslauf-Leben gibt es Tage und Nächte, da finden Traum und Wirklichkeit gleichzeitig statt. Wie am Tag und der Nacht der Jukola. Wie am 14. und 15. Juni 2025 bei der Jukola 2025 in Mikkeli, wo über 3.000 Teams mit 18.000 Läuferinnen und Läufern am größten Staffelwettkampf der Welt teilgenommen haben. Ferri, Jakob, Jasmina, Lina, Maria, Nico & Ylvi waren allesamt für skandinavischen Klubs dabei und haben festgestellt: manche Träume werden wohl nur in Finnland wahr.

Einfach die Augen schließen und fest, ganz fest daran glauben. Dann wird aus einer Illusion vielleicht sogar Wirklichkeit. Man wird ja noch träumen dürfen. Wir schließen also die Augen und stellen uns folgendes vor: Andreas Babler wartet bei den österreichischen Staffel-Meisterschaften auf seinen Einsatz als Schlussläufer. Einer seiner Polit-Kollegen steht an der Startlinie. Er hält aber keine Pistole in der Hand, um das Rennen zu eröffnen, sondern einen Kompass, um am Rennen teilzunehmen. Seine Teamkollegen, alles Abgeordnete im Parlament warten im Publikum auf ihren Einsatz, sie laufen die weiteren Strecken.

Wer noch nicht blinzeln muss, träumt einfach weiter. Und stellt sich vor, wie bei den Damen Katharina Liensberger auch ohne das Vorhandensein von roten und blauen Stangen die Ideallinie sucht, das Kartenbild visualisiert und mit Katharina Truppe, Stephanie Venier und Conny Hütter ein sportlich-prominentes Staffelteam bildet.

Wir machen die Augen auf und begreifen. In Finnland ist das ist kein Traum. So etwas ist möglich. Die Jukola, das größte Staffel-Rennen der Welt ist ein Sportfest für alle.  Unter den mehr als 1.700 Männer-Staffeln ist auch das Team OK Pan Kristianstad mit Nico. Er darf wieder die Startstrecke laufen. Um 23 Uhr beginnt das Spektakel. Mehr als 1.700 Stirnlampen auf ebenso vielen Köpfen sorgen für die Beleuchtung des beeindruckenden Gewusels. Eines ist da klar: wenn du alleine bist, dann läuft etwas falsch. Oder besser: Nicht etwas läuft falsch, sondern du. Nico erlebt genau das: „Mir passiert ein ärgerlicher Fehler zu Posten 1 (+1min), dann bin ich plötzlich allein und laufe eine schlechte Route zu Posten 3 (+1min).  Und dann passiert mir noch ein +2min-Fehler bei einer Gabel. Das tut weh.“  Bei der ersten Fernsehzwischenzeit kommt er als 73. durch, hat schon 4 Minuten Rückstand. Danach läuft er stabil weiter, muss aber ordentlich kämpfen. Im Ziel übergibt Nico nach harten 90 Minuten auf dem 27. Platz: „Mein Rückstand von rund 5min am Ende schreckt mich gar nicht, denn es hat sich gar nicht gut angefühlt. Und die Platzierung ist auch in Ordnung.“ Nach 7 Läufern und fast 10 Stunden gibt es für OK Pan Kristianstad im Endergebnis den 44. Platz.   

Neun Stunden später erreicht der finnische Minister für Jugend, Sport und Bewegung das Ziel. Mika Poutala vollendet für das Team des finnischen Parlaments-Sportvereines Eduskunnan Urheilukerho auf dem 950. Platz. Nach über 20 Jahren war der Minister wieder bei einem Orientierungslauf dabei, allerdings das erste Mal bei einer wichtigen Meisterschaft mit einer Startnummer. Überrascht haben ihn die teilweise sehr langen Strecken zwischen den Posten und das ruppige Gelände: „Manchmal musste ich auf allen Vieren laufen“, beschreibt Poutala seine Leistung.

Der flotte Sportminister, Foto: Onni Pänkäläinen

Immerhin hat er auf der Schlussstrecke, dem längsten Abschnitt, über 100 Konkurrenten überholen können und war auf den mehr als 15 Kilometern nur 1 Stunde länger unterwegs als Emil Svensk vom Siegerteam Stora Tuna OK. Zum sechsten Mal in Folge crasht der schwedische Klub aus Borlänge die große finnische Party.   

Venla-Start, Foto: Tomi Hänninen

Die ersten Wellen der blau-gelben Feierlichkeiten haben schon vor dem Start der Jukola begonnen. Denn das Damen-Rennen, die Venla, wird am Nachmittag gelaufen und ist genauso spektakulär und endet genauso mit einem schwedischen Sieg. Mehr als 1.400 Startläuferinnen warten in der überraschenden Nachmittagshitze auf das Signal. Mittendrin stehen auch Ylvi für OK Pan Kristianstad und die vielfache Olympia- und WM-Medaillengewinnerin Krista Pärmäkoski. Die finnische Langläuferin zeigt, dass sie auch ohne Schnee und ohne Ski schnell laufen kann. Pärmäkoski verliert keine zehn Minuten auf die Schnellste und kommt als 109. zur Übergabe.

Ylvi ist da schon im Ziel und bilanziert mit gemischten Gefühlen und müdem Körper: „Die Stimmung am Start war schon sehr besonders, aber auch hektisch. Ich war recht lange gut dabei und bin ganz zufrieden, wie ich‘s gemacht habe. Dann habe ich leider einen Posten recht lange gesucht“. Ylvi ist 30., als ihr dieser Fehler passiert und sie gleich mehr als 40 Plätze verliert. „Physisch war es zach für mich, aber mit dem Teamergebnis sind wir ganz zufrieden.“ Das Kristianstad-Quartett belegt am Ende den 23. Platz. Die Belohnung am Ende eines sehr langen, sehr anstrengenden Tages war die Teilnahme an der Siegerehrung der 25. besten Venla-Teams.    

Während die Favoritinnen von IFK Göteborg rund um Simona Aebersold bereits in der Arena über ihren Sieg jubeln, ist Jasmina als Schlussläuferin ihres finnischen Klubs Paimion Rasti im sehr fordernden Gelände rund um Tikkala unterwegs. Jasmina macht 5 Positionen gut und bringt ihr Team auf dem 46. Platz ins Ziel, ist aber dennoch nicht wirklich zufrieden: „Mein Lauf war nicht super, er war zumindest o.k. Auf jeden Fall war wieder es eine coole Erfahrung“.  

Krista Pärmäkoski, Foto: Tomi Hänninen

Eine ihrer Konkurrentinnen ist Krista Pärmäkoski, die an diesem Tag noch eine zweite Einheit „alternatives Training“ absolviert. Jetzt im Team G-Tiimi gemeinsam mit ihren Langlauf-Nationalteamkolleginnen Johanna Matintalo, Jasmin Kähärä und Katri Lylynperä. Schlussläuferin Krista überholt dabei 40 Gegnerinnen, die vier Wintersportlerinnen erreichen den 242. Platz.

Und dann gibt es auch jene, die stolz sagen können: Ich habe als Schülerin im Rahmen meines Auslandssemesters an der Jukola bzw. Venla teilgenommen. Maria ist für Hyvinkään Rasti die dritte Damen-Strecke gelaufen und hat dabei ihr Team um 38 Plätze auf Rang 1285 nach vorne gebracht. Nächste Woche kommt sie wieder zurück nach Österreich. Mit dem Gefühl, Teil etwas Großen gewesen zu sein. Ferri hat während seines Finnland-Urlaubes an der Jukola-Läuferbörse „spekuliert“ und sich für den Verein Eura Kauttuan Urheilijat entschieden. Er genoss die 11 Kilometer lange 6. Strecke und den Vergleich mit der Weltelite: „Ich war 2 Stunden ohne Druck unterwegs. Und daher praktisch fehlerfrei.“ Und das Beste: Ferri hat mitgeholfen, dass sein Klub mit dem 492. Platz die wichtige „ortsinterne Meisterschaft“ gewonnen hat. Auch um solche Derbys geht es.

Und vor allem um das Erlebnis Jukola. Um das Abenteuer. Um den Spaß. So sind auch viele gemischte Teams unterwegs. Teams wie PusPus. Jakob, der Clemens in Finnland besucht, nutzt die Gelegenheit und läuft für PusPus die Jukola-Schlusstrecke und führt seine Truppe nach starker Leistung auf dem 461. Platz ins Ziel.  Auch Lina kämpft sich durch die Wälder von Tikkala. Sie läuft die 4. Strecke, ihr Jukola-Team von Kalevan Rasti kommt aber wegen eines Fehlstempels nicht in die Wertung. Auch das ist Wirklichkeit bei der Jukola. Nahe dran am Alptraum.

Wenn man den Worten von OL-Neuling Johanna Matintalo Glauben schenken mag, dann ist für die Skilangläuferin mit der Teilnahme am größten OL-Staffelrennen der Welt (noch) kein Traum in Erfüllung gegangen: „Vielleicht habe ich mich aufgrund dieser Erfahrung noch nicht in den OL verliebt, aber ich hatte sogar noch Schlimmeres erwartet.“ Das klingt (noch) nicht unbedingt nach Traum im Sinne von traumhaft. Aber manchmal sind selbst bei Jukola & Venla Traum und Wirklichkeit zwei unterschiedliche Dinge.